12.09.2023

Arbeiten für ein gutes Leben

Seit knapp einem Jahr ist Ludovico Marcondes Beimann im Sprengbetrieb der Bereuter Baugrubentechnik AG. Den Arbeitsbereich hielt er zunächst für gefährlich. Mittlerweile weiss er: Sicherheit wird grossgeschrieben. Neben seiner Hauptarbeit packt er im Blumengeschäft seiner Frau mit an.

 

Das Bohrgerät rattert, der Bohrstaub raucht aus dem Loch. Ludovico Marcondes steht an den Schalthebeln der Maschine und beobachtet aufmerksam, wie sich das Bohrgestänge verhält, wenn es sich durch den Fels frisst. «15 Meter tief muss ich bohren, damit wir die gewünschte Felsmenge freisprengen können», sagt er. Vor dem Bohrgerät sind mit pinkem Markierspray ein gutes Dutzend weitere Bohrlöcher markiert. Dann ist der Boden für die nächste Sprengetappe in der Kundengrube vorbereitet. Seit letztem Herbst ist Marcondes Beimann im Sprengbetrieb der Bereuter Baugrubentechnik AG (BGT). Als solcher unterstützt er BGT-Sprengfachmann Heiko Giessler bei seiner Arbeit. Marcondes nimmt die nötigen Bohrungen vor. Aber auch beim Laden der Löcher sowie bei den eigentlichen Sprengungen ist er zur Stelle – und sorgt gemeinsam mit Heiko für einen sicheren Ablauf. Stehen in den Kundengruben in Arnegg (Hastag), Waldkirch (Kibag) und Mollis (Hartschotterwerk Haltengut AG) keine Sprengungen auf dem Programm, arbeitet Marcondes auf «normalen» Tief- und Spezialtiefbaustellen der BGT mit. Den gelegentlichen Tapetenwechsel mag er. «Nach intensiven Bohr- und Sprengarbeiten in einer Kiesgrube freue ich mich jeweils darauf, auf einer BGT-Baustelle andere Arbeiten ausführen zu können. Meist dauert es aber nicht lange, bis ich mich auf den nächsten Bohr- und Sprengeinsatz freue», sagt er.

Vorbereitungen in Portugal


Marcondes ist nicht gelernter Baufachmann. Sein beruflicher Weg hat anderswo angefangen – auf der anderen Seite des Erdballs. Geboren und aufgewachsen ist er in Brasilien. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Mutter in die Schweiz, Marcondes und seine Schwestern blieben in Brasilien und lebten bei einer Tante. Nach der Schulzeit startete er eine Ausbildung als Agronom – als gut gebildete Fachkraft rechnete er sich in der landwirtschaftlich geprägten Region gute Perspektiven aus. In der Hälfte des Studiums legte Marcondes eine Pause ein und besuchte seine Mutter in der Schweiz. Der Besuch änderte sein Leben: «Es war offensichtlich, dass sich in der Schweiz Möglichkeiten für ein besseres Leben bieten. Diese wollte ich nutzen», sagt er. Marcondes trödelte nicht herum. Er belegte sofort Intensivkurse, um Deutsch zu lernen. Er knüpfte Freundschaften und lernte Stephanie kennen, seine heutige Frau. Dauerhaft in der Schweiz bleiben konnte Ludovico aber noch nicht. Dafür fehlten ihm die nötigen Dokumente. In sein altes Leben in Brasilien zurückkehren, das wollte Ludovic nicht. Die Kompromisslösung hiess Portugal, wo eine seiner Schwestern mittlerweile lebte. Mit dem Ziel, früher oder später in der Schweiz Fuss zu fassen, machte sich Marcondes dort auf einen neuen beruflichen Weg. Er bildete sich zum Coiffeur aus – das machte ihm Spass, war aber auch eine taktische Wahl. «Es ist ein Beruf, den man überall ausüben kann, auch in der Schweiz», erklärt er. Nebenher baute er weitere Fähigkeiten auf, machte beispielsweise den LKW-Führerschein. «Für die erhoffte Zukunft in der Schweiz wollte ich mir möglichst vielfältige Optionen verschaffen », sagt er. Sein Ziel hielt er durch mehrere Besuche bei der Mutter und den Freunden in der Schweiz wach. Vorab aber lebte er mehrere Jahre in Portugal und war als Coiffeur tätig. Noch heute schneidet er Haare, aber nur noch in der Freizeit.



Neue Tür zur BGT

2018 war es so weit. Marcondes, mittlerweile 28 Jahre alt, reiste in die Schweiz – diesmal, um zu bleiben. Das Coiffeur-Handwerk schien ihm hier wenig aussichtsreich. Mit seiner Offenheit und seinem Willen zur Arbeit dauerte es jedoch nicht lange, bis eine neue Tür aufging. Ein Freund, den er bei Besuchen in der Schweiz kennengelernt hatte, war als Maschinist bei der BGT tätig. Er legte für Marcondes ein gutes Wort ein, kurz darauf hatte er als temporärer Mitarbeiter seinen ersten Arbeitstag im Betrieb. Seither ist er der Firma treu geblieben. Heute ist er in einem massgeschneiderten Pensum für die BGT tätig: Er arbeitet zu 80 Prozent und ist jeweils im November und Dezember abwesend. «Diese Regelung ist mir wichtig, weil ich dadurch im Blumengeschäft meiner Frau tatkräftig mithelfen kann», sagt Marcondes. Als im vergangenen Herbst der Vorschlag auf dem Tisch lag, in den BGT-Sprengbetrieb einzusteigen, reagierte Marcondes zunächst zurückhaltend. «Sprengen ist doch mega gefährlich, dachte ich mir», erinnert er sich. Das habe bedrohlich gewirkt, zumal seine Frau mit seiner ersten Tochter schwanger war. Doch BGT-Geschäftsführer Reto Müller beruhigte ihn, betonte die Sicherheitsstandards und gab ihm Zeit, um sich ein Bild zu machen. «Heute weiss ich: Ja, sprengen kann gefährlich sein. Die Sicherheits- und Kontrollmassnahmen sind aber so streng, dass viele Fehler aufs Mal passieren müssen, damit etwas Schlimmes geschieht», sagt Marcondes. In den vergangenen Monaten hat ihm Sprengmeister Heiko Giessler die Materie, die Handgriffe und die nötigen Tricks erklärt, um als Beimann und Bohrmaschinist im BGT-Sprengbetrieb fussfassen zu können. «Die Arbeit gefällt mir. Und nicht nur mir: Wenn ich den Leuten erzähle, was ich mache, sind sie total fasziniert», sagt Marcondes.


Arbeit und doch Erholung

Neben seiner Tätigkeit für die BGT verschwimmt bei Marcondes die Arbeitszeit mit der Freizeit. Er unterstützt seine Frau mit voller Kraft im Blumengeschäft in Winkel (ZH), welches sie gemeinsam mit ihrer Schwester führt. «Es ist für mich selbstverständlich, dass ich am Feierabend heimfahre – um dort noch verschiedenste Arbeiten im Laden oder auf den Blumenfeldern zu erledigen», erzählt er. Aber es fühle sich eben anders an, weil es Tätigkeiten im heimischen Betrieb seien. «Wenn ich abends mit einem kühlen Bier in der Hand die Pflanzen wässere, ist das schon Arbeit. Aber gleichzeitig erhole ich mich dabei.» Noch zusätzliche Bedeutung hat die Zeit im heimischen Umfeld mit der Geburt der kleinen Amélie Anfang Jahr erhalten. «Wenn ich sie frühmorgens nach dem Aufstehen anschaue, dann weiss ich genau, wofür ich die Arbeit leiste, sei es nun bei der BGT oder im Blumengeschäft: Ich will dazu beitragen, dass wir als Familie ein gutes Leben führen können. Und je mehr Spass diese Arbeit macht, umso besser, oder?»